Ein Geheimauftrag Und Die Last Der Befehlsgewalt - Akt I: Das große Wagnis

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Akt 1 - das große Wagnis

Kapitel 1

Kommandantur Saint Malo, Quartiere von Géneral de brigade Loius Bonchance

Beim Öffnen der versiegelten Befehle fällt uns zunächst eine detaillierte Karte der Insel Jersey in die Hand, zu denen einige Erläuterungen aufgeschrieben wurden.

Die Insel Jersey (Jèrri) liegt im Ärmelkanal, keine 25 km (15,5 Meilen) vor der Küste der Halbinsel Cotentin und keine 60 km (37 Meilen) nördlich von Saint Malo. Die nördlichen Ufer sind meist raue und steile Klippen mit einigen kleinen sandigen Buchten. Les Platons im Norden ist mit 136 Metern über dem Meeresspiegel der höchste Punkt der Insel, die im Süden in ein flaches Gelände mit einigen felsigen Ausläufern abfällt. Während die Westküste von großen Sanddünen geprägt ist, gibt es im Südosten bei Ebbe große Sand- und Felsflächen, die einem großen Gezeitenwechsel unterliegen. Kleine bewaldete Täler ziehen sich von Norden nach Süden über die Insel, deren Wasserläufe in den Ärmelkanal münden.

Der Wind weht überwiegend aus Südwest, manchmal auch aus Nordost. Ein Netz von Straßen führt über die Insel. Seine Qualität ist jedoch größtenteils verbesserungswürdig, wenn man bedenkt, dass sich die Inselbewohner:innen 1806 mit vorgehaltener Waffe gegen den Befehl des derzeitigen Gouverneurs, Generalleutnant Sir George Don[+], wehrten, einige Wege zu Hauptstraßen auszubauen, da sie das undurchsichtige Wegenetz für einen wesentlichen Teil der Inselverteidigung hielten. Die Inselbewohner:innen sprechen Jèrriais, einen normannischen Dialekt. 
Die Insel steht seit 1204 unter britischer Herrschaft, als die Insulaner:innen König John die Treue schworen. Während des Rosenkrieges war die Insel sieben Jahre lang von Frankreich besetzt. Während des Amerikanischen Unabhängigkeitskrieges versuchte eine französische Streitmacht unter dem Prinzen von Nassau-Siegen 1779 in der Bucht von Saint Ouen zu landen, wurde aber von Artillerie und Infanterie zurückgeschlagen, die nach Westen vorgerückt waren. Ein weiterer Versuch im Jahr 1780, in der Bucht von Saint Ouen und in der Bucht von Saint Brelade zu landen, wurde abgebrochen, als Miliztruppen an der Küste gesichtet wurden. 1781 versuchten es die Franzosen erneut, landeten in der "Alten Weihnachtsnacht" 800 ihrer 2.000 Soldaten bei La Roque, wodurch sie die Garnison völlig überraschen und den Gouverneur gefangen nehmen konnten. Sie behaupteten, 5.000 Mann seien an verschiedenen Küstenabschnitten gelandet, und versuchten so, die Briten zur Aufgabe zu bewegen. Einige Offiziere behaupteten später, sie hätten in der Nacht der Landung unbemerkt unterhalb der Wachposten geschlafen. In der Schlacht um die Stadt Saint Hellier wurden die französischen Truppen schließlich von der Inselmiliz besiegt, wobei 600 Männer in Gefangenschaft gerieten. 200 waren in der Nacht mit ihren Schiffen auf die Felsen gelaufen und ertrunken.

Die Insel, die so nahe an der französischen Küste liegt, ist ein wichtiger Stützpunkt für britische Channel Raider und Korsar:innen, die den französischen Handelsverkehr erheblich stören. Sie könnte möglicherweise als Ausgangspunkt für eine Invasion nach Frankreich genutzt werden. Immerhin wurden hier 1799 über 6.000 russische Soldaten nach ihrer Evakuierung aus den Niederlanden untergebracht.

Die Insel ist mit Burgen und Festungen bewehrt, von denen einige bereits im 14. Jahrhundert erbaut wurden, und wurde nach der Invasion von 1781 mit kleineren Redouten (https://de.wikipedia.org/wiki/Redoute_(Festung)) für die Milizartillerie und mit Martello-Türmen verstärkt, die nach dem Gouverneur von Jersey, Feldmarschall Henry Seymour Conway, Conway-Türme genannt wurden. Doch nur wenige der 30 genehmigten Türme wurden inzwischen tatsächlich gebaut. Die größte Festung, Fort Regent, befindet sich zu diesem Zeitpunkt im Bau und besteht lediglich aus einigen Erdwällen und Häusern. 1806 wurde mit dem Bau eines steinernen Forts begonnen, das jedoch noch lange nicht fertiggestellt ist und nur eine begrenzte Schutz- und Feuerkraft bieten kann, da es sich um eine Baustelle handelt.

Nach diesem ausführlichen, beigefügten Kommentar lese ich den Text der Befehlsausgabe:

Nach unserer Niederlage bei Trafalgar war der Kaiser stets entschlossen, den Krieg gegen das hinterhältige Albion durch die Unterbindung dessen Handels mit dem Kontinent zu gewinnen. Daher wurde die Kontinentalsperre verhängt. Die britischen Freibeuter:innen, die von Jersey aus operieren, sind jedoch mehr als nur ein Ärgernis für unseren eigenen Handel, und so hat Vizeadmiral duc de Decrès, Minister der kaiserlichen Marine, beschlossen, einen gezielten Schlag gegen die Insel zu führen. Schließlich haben sich die französischen Korsaren und kleineren Seegefechte gegen die große, aber langsame Royal Navy oft als sehr effizient erwiesen und die Eroberung Jerseys würde es den französischen Korsar:innen, die von Saint-Malo operieren, noch leichter machen, der britischen Flotte schmerzhafte Nadelstiche beizufügen.

Wir haben aus den gescheiterten Invasionsversuchen der Vergangenheit gelernt. Diesmal wird unser Streich gelingen, wir werden dem französischen Kaiserreich unter den Augen der britischen Kanalflotte einen ruhmreichen Sieg bescheren und uns die Aufnahme in die Ehrenlegion verdienen. Sobald wir Jersey eingenommen haben, wird Guernsey das nächste Ziel sein. Wer wagt es schon, von den Klippen Dovers zu träumen? 
Aber Vorsicht, Colonel Baron Philippe de Rullecourt, Kommandeur der Invasion von 1781, bemerkte:

L'habitude de braver les dangers de la mer rend les habitants très braves. Ils forment un corps de milice bien discipliné, bons tireurs, et qui seraient en état presque seuls de repousser l'ennemi qui en serait descendu.
[Die Gewohnheit, den Gefahren des Meeres zu trotzen, macht die Einwohner:innen sehr tapfer. Sie bilden ein gut diszipliniertes Milizkorps, sind gute Schützen*innen und wären fast allein in der Lage, den Feind abzuwehren, der ihnen in die Quere kommt.]

Die Mission hat einen weiteren ernsten Hintergrund. "Monsieur Charles", Commissaire général du comité de police Schulmeister, der Spion des Kaisers, hat Kenntnis von den Vorbereitungen einer britischen Invasion erhalten, die auf die Schelde abzielt, um Österreich zu entlasten, das von der Grande Armée gerade ein weiteres Mal bedrängt wird. Die Einnahme der Kanalinseln könnte diesen Versuch verhindern oder zumindest wichtige Ressourcen von ihm abziehen.

Außerdem ist eine Übersicht über die Truppen der ad-hoc Division angegliedert:

Divisionsreserve, Brigadegeneral Bonchance[+]
Eine halbe Batterie 4-Pfünder der Fußartillerie

Demi-brigade des grenadiers [Halbbrigade der Grenadiere], Brigadegeneral Albert[+]
Drei Grenadierbataillone

1er demi-brigade d'infanterie légère [1. Halbbrigade der leichten Infanterie], Colonel Pierre[+]
Drei Reservebataillone der leichten Infanterie

3e régiment d'infanterie de ligne [3. Regiment der Linieninfanterie], Colonel de Moncey[+]
Drei Feldbataillone der Linieninfanterie

7e demi-brigade d'infanterie de ligne [7. Halbbrigade der Linieninfanterie], Colonel Desaix[+]
Drei Reservebataillone der Linieninfanterie

Ich lese die Befehle und studiere ausgiebig die Karte mit meinem Adjutanten Douligny. Schnell sind wir uns einig, dass wir aus den bisherigen gescheiterten Invasionsversuchen lernen wollen und entscheiden uns daher gegen eine Landung an der Westküste bei St. Ouen. Wir sind uns ebenfalls recht schnell einig, dass eine Landung am Grouville Bay am vielversprechendsten sei. Allerdings soll eine kleinere Abteilung zunächst am Aune Port vorauslanden und sich der Besatzung des Schlosses Mount Orgueil annehmen, damit die Hauptstreitmacht ungestört landen kann.

Im zweiten Schritt soll die Einnahme der Höhen zwischen St. Clement und Grouvile sowie westlich des Schlosses erfolgen, um eine gute Ausgangsposition für die bald heraneilenden Miliztruppen zu haben. In Phase 3 rücken wir landeinwärts Richtung Westen ein und versuchen S. Hellier und das im Bau befindliche Fort Regent einzukreisen und dann im Sturm einzunehmen. Ich beauftrage meinen Adjutanten nun, sich im Hafen von Saint Malo umzuhören, welche Schiffe seetüchtig gemacht werden können, um die Kontingente unserer Division zur Insel zu bringen. Außerdem soll er mich umgehend informieren, falls erste Brigaden bereits Saint Malo erreicht haben. Ich möchte mich unbedingt so schnell wie möglich mit seinen untergebenen Kommandeuren besprechen bezüglich der Details des Invasionsplanes. 

Dieser Artikel ist der zweite einer Reihe von Gastbeiträgen von Tastenhauer. Weitere Artikel dieser Reihe werden in den folgenden Wochen und Monaten veröffentlicht.

Bisher in dieser Reihe erschienen:

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