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Kapitel 6
Kommandantur von Saint Malo, Salon am späten Abend
Zwischen den Gesprächen rund um die Frage des Landungszeitplan, den Gezeiten und möglichen Belagerungshilfsmitteln, mit denen die Forts angegriffen werden könnten, nehme ich mir außerdem meinen Adjutanten Douligny vor und vertraue meine Sorge um die Erfolgsschance der Mission unter vier Augen an:
"Douligny, ich bin mir nicht sicher, ob wir unser Ziel überhaupt erreichen können. Eine Invasion ist an sich schon unglaublich risikoreich; aber nachts, nicht entdeckt zu werden bei all den Risiken...
Ich kann auch nicht glauben, dass neben der Miliz die regulären Truppen in ihren Türmen und Festungen Däumchen drehen. Inzwischen dürften die Briten Bescheid wissen, dass etwas im Busch ist.
Wenn etwas schiefgeht, muss und werde ich den Rückzug befehlen. Ich möchte meine Männer nicht für eine Ablenkung sterben lassen. Zumal wir dieses strategische Ziel des Kaisers und seines Schulmeisters zum Teil auch ohne eine erfolgreiche Eroberung erreicht haben dürften: die Invasionspläne der Briten mindestens zu verzögern.
Meine Sorgen darf ich den anderen nicht mitteilen, um die Mission nicht zu gefährden. Ihnen aber bin ich persönlich verpflichtet, Douligny. Sie sollten davon wissen."
Philippe Douligny hört sich meine Sorgen mit ernster Miene an. Dann nickt er. "Ich stimme Ihnen zu, was das Risiko der Mission angeht, General." Er schaut aus dem Fenster auf das Treiben im Hafen. Eine Brigg wird gerade ins offene Wasser gezogen und setzt langsam Segel, um aus der Flussmündung in den Ärmelkanal zu segeln.
"Vertrauen Sie Savary? Es scheint mir, als hätte er alles durchdacht. Wenn diese Mission eine Falle wäre, wären wir schon verloren, sobald wir auf den Schiffen sind. Wir müssen es wagen, schätze ich. Es ist gut, dass wir die Adeligen vor Rennes haben beobachten lassen, scheinbar hat es sich ja um royalistische Spione gehandelt." Er schaut auf die Karten. "Géneral Bonchance, ich werde Vorbereitungen treffen, für den Fall, dass wir die Mission abbrechen müssen. Unauffällig, selbstverständlich."
Nachdem eine weitere Besprechung mit den Offizieren der Division endet, bitte ich Colonel Desaix[+], noch zu einem Gespräch unter vier Augen zu bleiben. Douligny verlässt als letzter den Raum und schließt die Tür hinter sich.
Desaix wendet sich sorgenvoll an mich: "General Bonchance, was kann ich für Euch tun? Ich hoffe doch, diese besondere Aufmerksamkeit bedeutet nicht, dass ich mich in Schwierigkeiten befinde?"
"Nein, Colonel Desaix, haben Sie keine Angst. Ich bin nur besorgt über ihren Wutausbruch bei unserer letzten Besprechung. Ich hatte ja erwähnt, dass mir eine gute Zusammenarbeit unter Ihnen als Befehlshaber wichtig ist. Das gilt aber selbstverständlich auch für ihre Arbeit mit Ihren Untergebenen. Gibt es ein Problem zwischen Ihnen und ihrem Adjutanten?"
Der Colonel presst die Lippen zusammen, es ist ihm offenbar unangenehm darüber zu sprechen: "Eliott de Vicourt ist nicht immer mit meiner Art, die Dinge zu regeln, einverstanden und da wir uns persönlich nahestehen, schießt er bei seiner... Anteilnahme in meinen Belangen gelegentlich übers Ziel hinaus. De Vicourt sähe mich wohl am liebsten daheim in Veygoux, bei einem Glas Wein aus Aubière, bereitwillig dem eintönigen Leben des Müßiggangs frönend." Ein Lächeln zeichnet sich beim Aussprechen dieses Satzes ab, bevor er wieder eine bestimmte Miene aufsetzt: "Doch ich gedenke nicht, dem Militär in naher Zukunft den Rücken zu kehren, seid unbesorgt. Ihr könnt Euch auf mich verlassen. Und wenn es drauf ankäme, würde ich Eliott de Vicourt mein Leben anvertrauen. Ihm bereiten die Risiken unseres Plans ein wenig Kopfzerbrechen, doch diese Entscheidung hat nicht er zu treffen und er wird sich fügen, sobald es so weit ist. Er würde Jersey offenbar am liebsten auf dem politischen Wege einnehmen und einfach zum Royal Square House marschieren, es infiltrieren lassen und den Gouverneur der Insel Sir Don[+] gefangen nehmen."
Mit einem leichten Lächeln entgegne ich: "Glauben Sie mir, ich würde jetzt auch lieber bei einem Glas Wein wieder Frieden und Alltag genießen." Für einen kurzen Moment schweife ich etwas in Gedanken an meine Familie in Paris ab. "Merkwürdig, wie sehr einem Dinge erst fehlen, wenn man sie nicht mehr hat, nicht wahr?
Aber es freut mich, dass wir in unserer Pflicht dem kaiserlichen Militär gegenüber verbunden sind und ich auf Sie zählen kann. Solange Sie mir versprechen, dass ihre Nähe zu de Vicourt unsere Ziele in der Mission nicht gefährdet, werde ich Sie nicht weiter stören."
Dann fällt mir ein, dass ich Desaix zu seiner Einschätzung von seinen Soldaten und Offizieren fragen wollte:
"Wo wir gerade unter vier Augen sprechen: welchen Eindruck machen Ihre Reservebataillone auf Sie? Wie verstehen Sie sich mit den Offizieren?"
Desaix drückt seine Freude darüber aus, endlich wieder eine bedeutsame Aufgabe angehen zu können. "Was bedeutet schon Freizeit, wenn man zuvor nichts geleistet hat? De Vicourt oder meine Beziehung zu ihm werden unsere Mission nicht gefährden. Darauf habt ihr mein Wort." verspricht mir der Colonel. Zu den Soldaten weiß er das Gleiche wie Pierre zu seinen zu berichten: "Die Soldaten sind allesamt hochmotiviert, doch leider fehlt es ihnen massiv an Erfahrung. Wir arbeiten fieberhaft daran, diesen Umstand so gut es geht zu kompensieren, dürfen aber auch keine Wunder erwarten. Desaix zeigt sich sehr zufrieden mit seiner anstehenden Position und Aufgabe in der anstehenden Operation. Und er ist auch ein Stück erleichtert, dass er in seiner Einheit offenbar sehr herzlich empfangen worden ist.
Ich drücke gleichermaßen meine Sorge über die Unerfahrenheit seiner und der Einheit von Pierre aus als auch meine Zuversicht: immerhin sollten die Grenadiere von Albert und die Linieninfanterie von Moncey nicht ganz so unerfahren sein. Da es nichts weiter zu besprechen gibt, verabschieden wir uns für heute.
Ich lade nun noch Colonel Moncey[+] und Géneral Albert[+] zum Gespräch unter sechs Augen ein, um mich nach dem Zustand ihrer Einheiten zu erkundigen.
Beide sind sehr zuversichtlich, dass ihre Männer einsatzbereit sind und auch wenn Alberts Männer nicht an ihre Sollstärke herankommen, würden sie dies mit ihrem Tatendrang und Mut wettmachen, meint er zu mir.
Moncey macht überdies den Vorschlag, vor der Abreise das Ein- und Ausschiffen üben zu lassen, damit wir damit so wenig Zeit wie möglich verlieren. Eine ausgezeichnete Idee, die ich den anderen Befehlshabern am nächsten Tag vorschlagen möchte. Dann verabschieden wir uns.
Nun erscheint auch Ponce Savary im Salon. Ohne Umschweife komme ich zum Punkt meiner größten Sorgen:
"Ich mache mir ernste Sorgen. Weniger um die Milizen auf der Insel, als um die regulären Truppen. Sie meinten bei unserer allgemeinen Besprechung, diese seien vermutlich in den Befestigungen und bei den Küstenbatterien.
Inzwischen muss doch halb England mitbekommen haben, dass von unserer Seite etwas im Busch ist? Die Ansammlung an Truppen hier in Saint Malo wird ihnen sicherlich nicht entgangen sein, ganz gleich, wie sehr wir uns um die Abwehr von Spionen bemühen.
Ist es nicht wahrscheinlich, dass wir unverhofft bei unserer Operation auf zusätzliche Verstärkungen der regulären englischen Truppen treffen?
Wie gut sind ihre Informationen zu Truppenstandorten und -bewegungen auf Jersey?"
Savary macht eine beschwichtigende Bewegung mit beiden Händen:
"Selbstverständlich, Général Bonchance. Ich kann Ihre Sorgen verstehen.
Sofern die Briten ihre Verteidigungsanlagen nicht aufgeben oder signifikant schwächen wollen, werden die regulären Truppen diese garnisoniert halten. Die Miliz tritt nur im Angriffsfall oder zu Übungen zusammen, sie wird nicht bezahlt und die Menschen müssen ihrem Lohnerwerb nachgehen. Die Aussaat steht an.
Seien Sie unbesorgt, zumal wir wissen, dass die Briten Landungen in Portugal und den Niederlanden vorbereiten, dürfte es ihnen nicht ungewöhnlich erscheinen, dass wir Reserve-Einheiten an so wichtige Küstenorte wie Saint-Malo bewegen. Außerdem wissen wir mit Sicherheit, dass die Channel Fleet sich in der Biskaya befindet.
Allerdings gebe ich Ihnen in so fern recht, als dass das Risiko eines Informationslecks, und sei es nur durch Gerüchte oder die Information der Soldaten über unser Vorhaben, steigt, je länger die Invasion hinausgezögert wird.
Wir verfügen über Informanten auf Jersey. Auch wenn die Informationen stets verzögert eintreffen, gibt es keine Anzeichen dafür, dass Verstärkungen nach Jersey verlegt werden."
Immerhin wohl keine Verstärkungen. Aber über die Zahl regulärer Truppen weiß er auch nichts zu berichten. Bevor ich zur Gegenfrage ausholen kann, fährt er fort:
"Wie Sie sich vielleicht denken können, gibt es neben den bereits dargelegten Gründen noch einen weiteren Anlass für Ihre Mission. Mont Orgueil Castle ist Sitz und Hauptquartier von Philippe d'Auvergne, der von dort aus geheimdienstliche Operationen gegen Frankreich ausführt. Während der Revolution wurde die Hyperinflation durch die geheime Einfuhr von gefälschten Geldscheinen von dort aus gezielt verstärkt.
Ich bitte Sie hierüber zu Ihren Offizieren Stillschweigen zu bewahren. Wenn die Zeit gekommen ist und es die militärische Lage erlaubt, werde ich Sie bitten müssen, ein Kontingent abzustellen, um die Burg zu nehmen und Beweise für die Machenschaften des Feindes sicherzustellen.
Das soll Ihre Planungen für den militärischen Erfolg der Mission jedoch nicht beeinflussen."
Bei der Nennung von Mount Orgueil Castle horche ich auf: ein Teil unseres Ablenkungsplans sieht vor, eben jenes Schloss mit den beiden Schaluppen zu beschießen. Ich frage Savary, ob das nicht ein Problem darstellen könnte, wenn wir d'Auvergne gefangen setzen wollen.
Savary lächelt mich darauf hin an:
"Général, ich glaube, sie haben, ohne es zu wissen, mit ihrem Plan das bestmögliche Szenario hinsichtlich Mont Orgueil Castle entworfen. So kann d'Auvergne nicht mit dem Boot entkommen und wird womöglich in die Arme unserer Truppen laufen. Die Gefahr, dass die Briten beginnen, Beweise zu vernichten, bestünde freilich auch bei einem direkten Angriff auf die Burg."
Ich nicke ihm zu und verabschiede Savary aus dem Salon, um bald wieder in Gedanken zu versinken.
Ich halte seine Bitte für ein weiteres Risiko bei unserer Operation, die ausschließlich auf dem Überraschungsmoment gebaut ist. Selbst im günstigsten Fall zweifle ich, ob ich es mir leisten kann, ein Kontingent unserer sowieso schon recht schmal aufgestellten Truppen abzustellen. Diese müssten aus der Abteilung von Moncey und Pierre gestellt werden, deren Truppen wir sicherlich in Gänze brauchen, wenn wir mit dem Angriff auf St. Hellier Erfolg haben wollen.
WENN wir zuvor nicht entdeckt und in Kämpfe verwickelt werden. Dann steht das Aussenden eines solchen Kontingents für mich sowieso außer Frage.
Ruckartig holt mich Capitaine Douligny aus meinen Gedanken und erinnert mich daran, dass ich ich für heute ruhen sollte. Morgen planen die anderen Kommandanten zunächst ein Mittagessen. Ich beschließe, mich erst danach zu ihnen zu gesellen, da ich mich morgen noch einmal über unseren Plan ausführlich Gedanken machen möchte.
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