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Kapitel 3
Kommandantur Saint Malo, Salon am nächsten Morgen
Nach dem abendlichen Gespräch mit Colonel Pierre ziehe ich mich in meine Unterkünfte in der Kommandantur zurück. Am nächsten Morgen gibt es einiges Aufsehen, da Soldaten des dritten Regiments in der Nacht, entgegen der Befehle Pierres, dem Wein zu sehr zugetan waren und in einer der Hafenkneipen eine Schlägerei mit einigen Matrosen provoziert hätten. Wie üblich sei es wohl um die Ehre des Kaisers gegangen – oder worum auch immer.
Ich befasse mich weiter mit den möglichen Plänen für die bevorstehende Invasion und verbringe die restliche Zeit mit der Lektüre eines Buches und Spaziergängen. Die konkreten Vorbereitungen können ohnehin erst beginnen, wenn alle Truppen und Offiziere eingetroffen sind.
Am späten Nachmittag kommt mein Adjutant Capitaine Philippe Douligny zu mir und übergibt mir einen Brief des Marschalls Berthier, der in Abwesenheit des Kaisers bis zum 16. April das Kommando in Bayern übernommen hatte, in welchem dieser berichtet, dass Napoleon eine fünftägige Schlacht bei Teugn-Hausen, Eggmühl, Abendsberg und Regensburg gewonnen habe, bei welcher der "eiserne" Marschall Davout Regensburg heroisch gegen den Ansturm Karls von Österreich verteidigt habe.
[Zeitgenössisches Gemälde von Albrecht Adam zur Schlacht von Regensburg am 23.04.1809]
Wenig später klopft es an der Tür. Ein junger Mann in Zivilkleidung betritt den Raum und stellt sich als Colonel Jean Desaix[+] vor.
Er dankt uns für unser überaus freundliches Willkommen und betont die äußerst ungewöhnlichen, ja geradezu irritierenden Umstände seiner Anreise. "Ihr seht richtig, ich erscheine gänzlich unwissend bei Euch. Hafenkommandant Général Jérôme Pillaut versicherte mir, Ihr würdet mir bei der Feststellung meiner unbestimmten Mission behilflich sein können, denn ich mache Euch doch unter recht dubiosen Umständen meine Aufwartung. Nachdem ich unvermittelt auf halbem Sold beurlaubt wurde, kehrte ich zum Gut meiner Familie in Veygoux zurück und erhielt dort einen Brief des Marineministers, dem Vize-Admiral Herzog von Decrès, mit dem Befehl, unverzüglich beim Kommandanten in Saint-Malo, besagtem Jérôme Pillaut, vorstellig zu werden. Ohne die geringste Ahnung, warum ich herbeordert wurde, machte ich mich eiligst gen Saint-Malo auf. Die missliche Wetterlage zwang mich und meine Entourage jedoch zu einem Zwischenstopp in Rennes, wo ich zufällig Colonel de Moncey mit seinem Adjutanten Capitaine du Brussaud sowie Colonel d'Aquinaire, Kommandant Labadieu, Capitaine Janvier von der Nationalgarde und Général Albert begegnete. Es gab ein Problem mit den Truppenunterkünften.
Dank eines ominösen Mannes mit Zylinder und einem Taschentuch, welches Napoleons goldene Biene aufgestickt hatte, und in dem die Nennung meines Namens etwas ausgelöst zu haben schien, erhielten die Truppen des Kaisers noch in der selben Nacht trockene Unterkünfte. Der unbekannte Mann suchte Labadieu offenbar ursprünglich auf, um sich nach zwei Adeligen zu erkundigen, einem Barthelemy de Saint Jacques und einem Comte de Charbonneau. Ihr, Colonel Pierre hättet beide Männer beschatten lassen. Der Mann mit Zylinder erwähnte zum Abschied einen Monsieurs Charles, der als Schulmeister identifiziert werden konnte. Ich hoffe, Ihr könnt weiter Licht in die Lage bringen."
Ich kommentiere, dass es offenbar eine große Geheimhaltungsstufe über unsere Mission gibt. Ich setze Desaix in Kenntnis, dass ich selbst unsere Befehle erst hier in Saint-Malo öffnen durfte. Meine Begegnung mit den beiden verdächtig auftretenden Adligen vor Rennes und die Begegnung Colonel Pierres mit einem Geheimpolizisten bei seinem Beschattungsauftrag deuten darauf hin, dass diese Geheimhaltungsstufe durchaus berechtigt zu sein scheint. Anschließend weihe ich den Colonel in Zivilkleidung in unsere anstehende Mission um die Eroberung der Insel Jersey ein und skizziere unsere ersten Planungsideen aus den bisherigen Vorgesprächen.
Einen kurzen Moment schaue ich etwas verwirrt drein, dass der Colonel ohne Truppen in die Stadt gekommen ist. Glücklicherweise erspart mir mein Adjutant Douligny weitere Verlegenheit:
"Wenn Sie gestatten, mon général, die siebente Halbbrigade der Linieninfanterie befindet sich bereits in der Stadt. Es handelt sich um die Truppen, die wir bei unserer Ankunft in Saint-Malo im Feldlager sahen. Dies habe ich heute Mittag von einem der angehörigen Offiziere, einem gewissen Capitaine de Vicourt, erfahren, dem ich bei einem Spaziergang im Park nahe des Pointe de la Briantais begegnete. Ein schneidiger junger Mann, wenn ich hinzufügen darf. Auch wenn dies über die Qualität der Bataillone freilich nichts aussagt." Ich gebe Desaix den Befehl, sich bald mit seinen Soldaten und ihren Befehlshaber Capitaine de Vicourt vertraut zu machen und sich über den Zustand und die Erfahrung der Reservebataillone der Linieninfanterie zu informieren. Dazu sei es sicherlich hilfreich, seine Truppen vor der Stadt üben zu lassen.
Pierre wirft ein, dass er seine Truppen ebenfalls bereits vor der Stadt exerzieren lässt und er zudem gezielt das Gerücht unter seinen Männern gestreut habe, dass wir zur Küstensicherung hier in Saint-Malo seien, um uns gegen eine mögliche Invasion der Engländer zu wappnen.
Desaix weiß zudem von Gerüchten aus der Hafenstadt Nantes, die er vor wenigen Tagen noch aufgeschnappt hat: demnach habe die Channel Fleet der Royal Navy den Ärmelkanal verlassen und sei in den Atlantik gesegelt und das dritte Linienregiment, das erst kürzlich von der Rheinarmee in die Stadt verlegt worden war, sei am selben Tag gegen Mittag unter dem Kommando eines neuen Offiziers aus der Stadt gezogen. Dies deckt sich mit meinen Aufzeichnungen über unseren Auftrag, denn das dritte Linienregiment soll hier in Saint-Malo bald unter einem Colonel de Moncey eintreffen. Ob die Gerüchte aber insgesamt wahr sind, lässt sich natürlich nicht beurteilen.
Dann macht der junge Colonel einen überraschenden alternativen Vorschlag zu unserer bisherigen Planung. "Die Insel von Osten aus anzugreifen wäre sicher eine hervorragende Möglichkeit, doch wenn ich vielleicht so verwegen sein dürfte, Herr General? Sollten die Gerüchte stimmen, könnten uns im Osten schon früh britische Truppen begegnen. Durch die Handelsrouten zwischen dem Festland und Jersey werden unsere Schiffe außerdem viel Aufmerksamkeit erregen. Auch die Landung könnte durch die breiten Sandbänke und den ebenso breiten Sandstrand erschwert werden, so dass wir vermutlich lange bräuchten, um einen Durchstoß erzielen zu können.
Wenn ich so kühn sein dürfte, Herr General, würde ich einen schnellen und offensiven Vorstoß von Norden aus vorschlagen und den Seeweg zuvor von Westen aus, mit einigem Abstand zur Insel, vornehmen. Zum Anlegen erscheint mir dieser* Harbour* [zeigt auf Karte mit roter Markierung] für unsere Zwecke geeignet. Wenn wir die Ebbe abwarten und bei steigender Flut an Land gehen, hätten unsere Soldaten einen kurzen Weg bis zur Küste, so dass sie mit voller Kraft und ohne Umwege von dort aus weiter gen Süden bis nach St. Hellier vordringen können.
Zur Ablenkung wären kleinere Einheiten vor der Küste von St. Hellier unter Umständen eine gute Wahl. Wir könnten den feindlichen Truppen somit den Eindruck vermitteln, wir würden direkt das Zentrum angreifen. Während diese demnach nur nach Süden blicken, um das Herz der Insel zu verteidigen, fallen wir ihnen schnell und effizient von Norden aus in den Rücken. Schwereres Geschoss wie Belagerungswaffen könnte dann, wenn der Feind stark angeschlagen ist, direkt von Süden herangebracht werden. Ich bin mir jedoch unsicher, wie man dies am besten bewältigen könnte.
Die Gegebenheiten inklusive der gut ausgebildeten Milizkorps vor Ort, erwarten eine robuste und unnachgiebige Herangehensweise von unserer Seite. Der Feind sollte bestenfalls besiegt sein, ehe er überhaupt begriffen hat, dass er angegriffen wird. Selbst wenn dieses Szenario wohl kaum eintreten wird, sollten wir es uns vielleicht als Ziel nehmen. [...]
Eure Erfahrung und Kommando sind über jedweden Zweifel erhaben, General Bonchance. Warten wir mit der näheren Erörterung, bis weitere Informationen vorliegen. Bis dahin werde ich vorerst Capitaine de Vicourt aufsuchen und mich mit den Truppen vertraut machen. Selbstverständlich wird die Geheimhaltung so gut es nur geht, gewahrt. Ihr könnt Euch meiner Verschwiegenheit gewiss sein.
Ich empfehle mich und stehe für Eure Befehle bereit. Falls es Euch beliebt, könnt Ihr Euch die von mir angedachte Route über die Insel, bei der wir einen Großteil der Flüsse meiden würden, in meinen Aufzeichnungen ansehen [anbei]."
Während sich Pierre und Desaix über die generelle Ausrichtung des Invasionsplans uneins sind, lasse ich mich von Desaix überzeugen, auch wenn ich immer noch skeptisch bin:
"Ich finde den Plan von Desaix auf jeden Fall reizvoll, wenn er funktioniert. Dafür müssen aber zusätzliche Erörterungen angestellt werden. Ich informiere mich beim Kapitän Halgan, dem Flottillenkommandeur, inwieweit unsere Schiffe sich sinnvoll aufteilen ließen. Wir brauchen nämlich auf das im Bau befindliche Fort und die Stadt St. Hellier glaubwürdige Feuerunterstützung und genügend Schiffe mit Truppen, um ein drohendes Anlanden auch glaubwürdig aussehen zu lassen.
Die Frage ist auch, wie groß oder klein die Truppe im Norden sein soll. Die Bucht dort ist sehr schmal und wir sollten uns auf dem Weg von Nord nach Süd so schnell bewegen, dass keine Warnung rechtzeitig zu den Miliztruppen kommt. Alles unter der Voraussetzung, dass diese sich größtenteils eben in St. Hellier auch befinden. Ich werde über diesen alternativen Plan weiterhin nachdenken und mit Ihnen und den anderen Befehlshabenden diskutieren.
Zur "Belagerungsartillerie": uns steht lediglich eine Halbbatterie 4-Pfünder zur Verfügung. Außer einigen Geschützen auf den Schiffen haben wir sonst nichts dergleichen."
Ich gebe außerdem zu bedenken, dass der von Colonel Desaix vorgeschlagene Ansatz ein möglichst exaktes Timing der beiden Streitkräfte erfordert. Sollten Truppen bspw. südöstlich von Fort Regent anlanden, die Streitkräfte aus dem Norden aber noch nicht in Angriffsposition vom Nordwesten sein, stehen wir mit heruntergelassenen Hosen da..."
Desaix macht allerdings ein überzeugendes Argument:
"Wenn wir zu zaghaft und angstgeschwängert agieren, haben wir bereits verloren. Jersey ist ohnehin schwer einzunehmen. Wir sollten aus den Fehlern anderer vor uns lernen. Was wir jetzt brauchen, ist das Überraschungsmoment. Ein gewisses Risiko birgt jeder Plan. Das lässt sich im Krieg nicht vermeiden. Doch möchte ich daran erinnern, dass die größten militärischen Siege in der Vergangenheit mit innovativen Ansätzen errungen wurden. Kein/e Brite/Britin wird damit rechnen, dass französische Truppen erst einmal fast komplett um eine Insel herumfahren und dort dann an Land gehen. Deshalb würde ich die Truppen auch nicht aufteilen. Mit voller Stärke von Norden. Das ist der Plan. Wir können nur obsiegen, wenn wir präzise, kühn und schnell vorgehen und den Informationsfluss weiterhin eindämmen. Durch die öffentlichen Exerzierungen des Kollegen wurden ohnehin schon genug Pferde scheu."
Viele Erörterungen müssen wir noch anstellen. Es fehlen uns immer noch die beiden Kommandanten Colonel de Moncey[+] und Géneral Albert[+]. Außerdem warten wir gemeinsam auf die Informationen aus Nantes, die uns Kommandant Halgan versprochen hat. Erst dann können wir uns abschließende Gedanken machen.
Ich verabschiede Pierre und Desaix und begebe mich zurück ins Quartier.
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